
Nachruf - Quelle: Ratinger Wochenblatt online vom 13. November 2014
Politiker mit Leib und Seele
Ratingen-Eggerscheidt. Um zu wissen, was für ein außergewöhnlicher Politiker Lothar Diehl war, musste man nur eine beliebige Ratssitzung des Jahres 2002 oder 2003 besuchen. Damals war er noch in der CDU, aber längst verkracht mit seiner Fraktion. Gleichwohl saß er immer noch gleich neben dem Vorsitzenden Rolf Blumenkamp und beteiligte sich wortgewaltig und engagiert an Diskussionen. Dass er dabei oft der schärfste Oppositionsredner gegen die Ratsmehrheit aus CDU und FDP war, gab solchen Sitzungen eine surreale Note. Er hielt die Anfeindungen mehr als zwei Jahre lang aus, und der CDU-Vorstand hatte nicht die Kraft, den unbequemen Quertreiber auszuschließen.
Wobei: Ein Querulant war Lothar Diehl ganz gewiss nicht, allenfalls aus Sicht seiner damaligen Parteigenossen. Zum Oppositionellen in den eigenen Reihen wurde er nur dadurch, dass die CDU nach seiner festen Überzeugung nicht mehr die Politik machte, für die sie 1999 angetreten war. Damals hatte Diehl, der mächtige Vorsitzende des Ortsverbandes Eggerscheidt, entscheidend dazu beigetragen, dass Wolfgang Diedrich Bürgermeister wurde. Tief enttäuscht vom immer stärker um sich greifenden Machtmissbrauch wandte er sich aber zur Mitte der Ratsperiode ab. Da hatte er noch die Hoffnung, dass er die CDU von innen heraus erneuern könne.
Er fand immer mehr Anhänger, bald hatte der kleinste Ratinger Stadtteil den zweitgrößten CDU-Ortsverband. Irgendwann wuchs in ihm die tollkühne Idee heran, die Partei durch schiere Mehrheit umzukrempeln. Doch die Gegenseite roch Lunte und rekrutierte selbst eifrig neue (Kurzzeit-)Mitglieder. Im März 2004 kam es zum legendären Showdown. Fast 600 CDU-Mitglieder (einsamer Allzeitrekord) kamen zur Versammlung, auf der die Ratskandidaten nominiert wurden. Diehl wurde rüde niedergebrüllt, es war ein Spektakel. Am Ende reichte es für die Rebellen nicht für eine Mehrheit… aber die Geschichte war noch nicht zu Ende.
Lothar Diehl, hauptberuflich ein erfolgreicher Rechtsanwalt, war nie jemand, der schnell aufgab. Gleich nach der Niederlage trat er aus der CDU aus, und mit ihm 150 weitere Mitglieder. Der CDU-Ortsverband Eggerscheidt war damit Geschichte, und die Bürger-Union Ratingen geboren. Bei der Wahl 2004 geschah das Undenkbare: Die CDU verlor ihre Mehrheit und BU-Kandidat Harald Birkenkamp, der zuvor geschasste Ex-Kämmerer, schlug Wolfgang Diedrich in der Stichwahl. Mit seiner Überzeugungskraft hatte Diehl Birkenkamp zur Kandidatur bewegt. Gleich nach der Wahl wurden (damals noch in Koalition mit der SPD) die Fehler der früheren Ratsmehrheit korrigiert. Ratingen erlebte einen beispiellosen Aufschwung, zu dem Diehl als politischer Kopf der Bürger-Union seinen Beitrag geleistet hat.
Lothar Diehl hat sich und anderen nichts geschenkt. Sein Arbeitspensum war gewaltig, seine Erwartungen waren’s auch, und in Debatten war er nicht zimperlich. Um der Sache willen konnte er geschickt verhandeln, und wer ihn über den Tisch ziehen wollte, musste schon sehr früh aufstehen. Mauscheleien zum Eigennutz waren ihm zuwider, er war ein geradliniger Ehrenmann, der die Politik nicht brauchte, um daraus Vorteile zu ziehen. Seine Energie zog er aus dem festen Glauben, dass er dem Gemeinwohl etwas schuldig war. Und diese Quelle schien unerschöpflich. Was viele nicht wissen: Zur Zeit der heftigsten Parteikämpfe im März 2004 war Diehl schwer erkrankt. Trotzdem legte er nicht einen Fall nieder, und quasi zwischen zwei Chemotherapie-Sitzungen legte er sich in der Stadthalle mit der CDU an. Ende 2004 hatte er die Wahl gewonnen und den Krebs besiegt.
Sechs Jahre später erlitt er jedoch einen schweren Herzinfarkt, von dem er sich nie mehr ganz erholte. Am Dienstag ist Lothar Diehl an den Spätfolgen im Alter von 74 Jahren gestorben. es