
Ärzte und Eltern kämpfen gegen drohende Schließung der Notfallpraxis
KV-Reform bringt auch Angebot für erwachsene Patienten in Gefahr
Notdienst für Ratinger Kinder bald in Wuppertal?
Von Egon Schuster
Ratingen. Das Angebot ist seit mehr als 15 Jahren fester Bestandteil der medizinischen Versorgung in unserer Stadt. Eine ganze Generation Ratinger Eltern weiß, wohin sie sich wenden muss, wenn ihr Kind am Wochenende oder am Mittwochnachmittag akut erkrankt: an die Kindernotfallpraxis im St.-Marien-Krankenhaus (bis 2008) bzw. im benachbarten Ärztehaus an der Mülheimer Straße (seitdem). Seit der Eröffnung des Ärztehauses ist dort, Tür an Tür, auch die zentrale Notfallpraxis für Erwachsene untergebracht. „Ein absolutes Erfolgsmodell“, sagt Dr. Boris Korioth, Vorsitzender des Ärztevereins Ratingen-Mettmann, der den Notdienst organisiert. Der Ratinger Kinderarzt Bernd Appolt weiß aus langjähriger Erfahrung, wie wichtig diese medizinische Einrichtung für Ratinger Eltern ist. Doch jetzt droht Ungemach: Die kassenärztliche Vereinigung (KV) Nordrhein will den Notdienst reformieren, und das heißt: ausdünnen. Mindestens die Ratinger Kinderpraxis soll den Plänen zum Opfer fallen. Für Ratinger Eltern wäre dann – kein Witz – eine Notfallpraxis in Wuppertal zuständig. Doch auch die Erwachsenenpraxis ist in Gefahr – gegen den erklärten Willen aller Beteiligten.
Seit mehr als zwei Jahren werkelt die kassenärztliche Vereinigung an ihrem Reformwerk. Das Vorhaben ist auch in der Ärzteschaft heftig umstritten. Es geht um Kosten, Arbeitsbelastung und Zuständigkeiten. Die Ziele der KV lassen sich aus einem Beschluss der Vertreterversammlung (dem Hauptbeschlussgremium der KV) vom Februar 2013 ablesen: „Alle Ansätze zur Neuordnung des Notdienstes sollen unter dem Gebot der Kostenkontrolle und der Homogenisierung der Dienstbelastung stehen. Es sollen Zusatzkosten für die Ärzteschaft vermieden werden. Ein neues Notdienstkonzept soll die ausufernde Inanspruchnahme des Notdienstes durch geeignete Maßnahmen reduzieren und der absehbaren Problematik des Ärztemangels Rechnung tragen. Der Notdienst ist auf das gesetzliche Mindestmaß zu begrenzen.“
Diese Ziele sollen flächendeckend vom grünen Tisch aus durchgedrückt werden. Grundlage dafür wäre ein Beschluss, dass die KV künftig den gesamten Notdienst im Bezirk Nordrhein organisiert. Lokale Vereine wie der Ärzteverein Ratingen-Mettmann wären dann raus, ihre Angebote würden zu einem großen Teil wegrasiert. Der Grundsatzbeschluss, ob die KV den Notdienst komplett übernimmt, soll in einer Sitzung der Vertreterversammlung gleich nach Karneval fallen. Dann ginge es an die Umsetzung, schon Mitte 2015 oder Anfang 2016 könnt die Ratinger Praxis schließen.
Dagegen machen die Kinderärzte mobil. Sie sind übereinstimmend der Meinung, dass die kinderärztliche Notfallpraxis an der Mülheimer Straße unbedingt erhalten werden muss. Wie die Eltern die Sache sehen, muss man nicht fragen. Seit einer Woche sammeln die Ärzte Unterschriften gegen die geplante Reform, allein in Bernd Appolts Praxis in Ratingen-Mitte haben schon 200 Eltern unterschrieben. „Die Reaktionen reichen von Verblüffung über Empörung bis zu Entsetzen“, sagt der Kinderarzt.
Kein Wunder: Wer auf dem Reißbrett Ratinger Eltern eine Notfallpraxis in Wuppertal zuweist und damit eine einstündige Anreise zumutet, orientiert sich offensichtlich nicht an der Lebenswirklichkeit. Appolt weiß genau, was stattdessen passieren wird: „Die Eltern fahren in die Kinderklinik in Kaiserswerth.“ Doch deren Ambulanz ist für den zu erwartenden Ansturm (in der Ratinger Notfallpraxis werden jährlich rund 2 500 Kinder behandelt) nicht ausgerichtet. Jetzt schon gibt es in Kaiserswerth (wie auch in anderen Kinderkliniken) unter Umständen mehrstündige Wartezeiten in der Ambulanz, je nachdem, was gerade auf den Stationen los ist.
Erst vor zwei Wochen kamen Eltern an einem Sonntag mit einem zweijährigen Kind in die Notfallpraxis, das 40 Grad Fieber und Atemnot hatte. „Die Eltern erzählten, dass sie am Vortag drei Stunden in einer benachbarten Kinderklinik warten mussten und ihnen dann mitgeteilt worden war, dass es noch eine weitere Stunde dauern würde“, erzählt Bernd Appolt. Darauf gingen die Eltern ohne ärztliche Behandlung nach Hause. Dieses Kind hatte jedoch eine schwere Lungenentzündung und musste umgehend zur stationären Behandlung in die Klinik eingewiesen werden.
Es gibt auch Ärzte, die halten das dichte Notdienstnetz in einigen Regionen für „Luxusmedizin“. Die Hälfte der Fälle, die in Notfallpraxen behandelt würden, seien gar keine Notfälle, bringen die Befürworter der Reform vor. So sehen die Pläne in Teilen auch aus – als wolle man Patienten den Besuch der Notfallpraxis so unbequem wie möglich machen.
Von solchen Betrachtungsweisen hält Bernd Appolt gar nichts. Sie sei nicht vereinbar mit seinem Berufsbild. Natürlich komme es vor, dass Patienten in die Notfallpraxis kommen, die bei strenger Betrachtung gut noch ein, zwei Tage hätten warten können. Aber Eltern sorgen sich nun einmal um ihre Kinder, und in den meisten Fällen sei der Besuch in der Notfallpraxis eben doch angebracht, weil es dem Patienten hilft, wenn die Behandlung früher einsetzt.
Trotzdem ist es keineswegs selbstverständlich, dass sich die Kinderärzte aus Ratingen, Mettmann und Erkrath, die abwechselnd Dienst in der Notfallpraxis tun, so für ihre Patienten ins Zeug legen. Denn sie persönlich haben eher Nachteile von einer Fortführung der Notfallpraxis. Sie sind wesentlich häufiger im Einsatz als Erwachsenenärzte, und seit dem 1. Januar 2015 wurde ihre Vergütung für Notdienste um die Hälfte gekürzt. „Ich bin deshalb ein bisschen stolz auf meine Kolleginnen und Kollegen, dass sie sich dafür einsetzen, die Notfallpraxis zu erhalten“, sagt Appolt.
Ähnlich einheitlich ist das Meinungsbild auch bei den Ärzten, die die Notfallpraxis für Erwachsene betreiben. „Die Kreisstelle Mettmann hat der KV Nordrhein auf eine Anfrage mitgeteilt, dass wir keinerlei Bedarf für eine Änderung des Notdienstes in unserem Bereich sehen“, sagte Dr. Boris Korioth. Die Auflösung dieser Notfallpraxis steht zwar nicht so konkret in den Planspielen wie die Aufgabe des Kinderangebotes, aber ausschließen mag Korioth nicht, dass „jemand auf so eine aberwitzige Idee kommen könnte“.
Auch Ralf Hermsen, Geschäftsführer des St.-Marien-Krankenhauses, kann über solche Pläne nur den Kopf schütteln. „Wir haben uns seinerzeit sehr darum bemüht, die Praxen im Sinne einer zentralen medizinischen Grundversorgung für Ratingen in unser Haus zu bekommen“, erinnert er. „An der Auslastung kann man erkennen, dass dieser Schritt ein Volltreffer war. Die niedergelassenen Ärzte haben dieses Angebot mit viel Herzblut aufgebaut. Wer auch immer daran rüttelt, würde einen erheblichen Flurschaden für die medizinische Versorgung in Ratingen verursachen.“